Telouet – einer der geschichtsträchtigsten Orte Marokkos

Wenn man auf dem Weg von Marrakesch nach Ouarzazarte einige Kilometer hinter der Passhöhe des Tizin Tichka von der Nationalstraße nach links abbiegt, erreicht man nach ca. 30 km auf einer neuerdings sehr gut ausgebauten, geteerten Straße durchs Onila Tal entlang der ehemaligen Karawanenroute von Timbuktu das Dorf Telouet. Es liegt in einem Hochtal auf ca. 1900m, und bildet das Zentrum von ca. 45 kleinen Berber-Dörfern, die sich um Telouet gruppieren, das von einer mächtigen Kasbah dominiert wird, ähnlich dem Potala in Lhasa.

Wer Marokko verstehen möchte sollte sich mit der Geschichte von Telouet auseinandergesetzt haben. Hier im Hohen Atlas wurde Weltgeschichte geschrieben.

Es begann alles als Anfang des 18. Jahrhunderts fromme Imame aus Saudi Arabien in die Hochtäler Marokkos entlang der Karawanenstraßen kamen um den Berbern, die bis dato eher Mischformen von Islam und ihren archaischen Religionen praktizierten, den Islam in Reinform zu vermitteln und die Scharia zu praktizieren. So ließ sich in Telouet ein Imam namens Glaoui mit seiner Familie nieder und war bald hoch geachtet als Lehrer und Richter. Die Berberdörfer bekriegten sich oft gegenseitig und es ging um Wasser und Weiderechte. Mit der Scharia, die der fromme Glaoui Imam vertrat kam zum ersten Mal ein geordnetes Rechtssystem im hohen Atlas zur Geltung und viel Blutvergießen wurde verhindert. Eines Tages, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, kam der Sultan aus der Alaouiten Dynastie mit einer Karawane von seiner Pilgerfahrt aus Mekka zurück und wurde in Telouet vom Wintereinbruch überrascht. Es existiert im Islam ein Gastrecht der 3 Tage, das das Überleben in der Wüste garantiert. Jedermann hat die Pflicht, Reisende für maximal 3 Tage aufzunehmen und zu verköstigen und darf nicht einmal nach dem Woher und Wohin fragen. Der Sultan saß mit seinem Gefolge jedoch mehrere Wochen wegen des Wintereinbruchs fest. Da der Sultan selbst arabischen Ursprungs war und da ihn gemeinsame arabische Wurzeln und die arabische Sprache mit dem Glaoui Imam verbanden, diente der Imam als Mediator zwischen Sultan und Dorfbewohnen und sorgte dafür dass der Sultan und sein Gefolge Verpflegung und Unterkunft bekamen. Vor seiner Abreise versammelte der Sultan die ältesten und gab sich als Ihr Herrscher zu erkennen und fragte die Berber, ob sie den Imam als Ihren Chef akzeptieren würden. Der Imam war überall hoch geachtet und so willigten die Bewohner von Telouet ein und der Sultan ernannte ihn zum Pascha (Regionalfürsten). Dies geschah nicht ganz uneigennützig, denn der Sultan beauftragte den Glaoui Pascha, die wichtige Karawanenroute nach Timbuktu zu sichern und 1000 Kasbahs (Lehmburgen) und Ksars (befestigte Dörfer) entlang der Handelsstrasse zu bauen. Im Gegenzug dazu durfte der Pascha Zölle von den Karawanen erheben, die der Familie schließlich zu immensem Reichtum verhalfen.

Die Karawanen transportierten Gold aus Timbuktu Safran, Sklaven, Seide aus China, Gewürze und Salz aus der nahegelegenen einzigen Salz Mine im Maghreb. (8km hinter Telouet noch heute zu besichtigen, Achtung – sehr schlechte Piste links von der Straße abgehend). Die Karawanen tauschten Salz gegen Gold – das Wort Salery, Salär, französisch Salaire für Lohn zeugt noch heute von der Tradition Gold mit Salz aufzuwiegen und den Lohn mit Salz zu bezahlen, denn Salz war in der Zeit als es noch keine Kühlschränke gab unerlässlich für die Konservierung von Speisen.
Auch die zweite Generation der Glaoui Familie war hoch geachtet. Der Imam war zugleich Pascha und ein gerechter Herrscher, der die Karawanenstraße bis in den tiefen Süden Marokkos beherrschte. Er baute eine zweite Kasbah, diesmal nicht aus Lehm, sondern aus Stein.

Mit der 3. Generation, dem Tami Glaoui, der 1877 geboren wurde, degenerierte jedoch die Macht zur Diktatur über den gesamten Süden Marokkos. Mit unglaublicher Grausamkeit und eiserner Hand und einem Heer von schwarzen Sklaven errichtete Tami Glaoui sein Machtmonopol im Süden und bewirkte gemeinsam mit anderen Lords aus dem Atlas 1953 die Exilierung des rechtmäßigen Sultans Mohamed V und seines Sohnes Hassan nach Madagaskar. Hier kamen nun auch die Franzosen ins Spiel, die angeblich auf Ansuchen von, Sultan Abd El Hatif (seit 1908 an der Macht) anlässlich der 2. Marokkokrise 1911 dem geschwächten Alaouiten Sultan bei der Bekämpfung seiner berberischen Gegner beistanden. Dies führte dann 1912 zum Vertrag von Fes, mit dem sich die Franzosen das Protektorat über weite Teile Marokkos sicherten mit dem Auftrag, dem Land eine neue Infrastruktur, Bildungs- Rechts- Verkehrs- und Gesundheitssystem nach französischem Vorbild zu geben. Teile Nordmarokkos und die Westsahara gelangten unter spanisches Protektorat und Tanger erhielt internationalen Status. Nebenbei bemerkt: ab 1880 bis 1914 kämpften die europäischen Nationen um die Macht in Afrika. Frankreich, das Algerien und andere Länder bereits als Kolonien besaß musste sich schließlich mit dem Protektorat zufriedengeben, behandelte jedoch Marokko in zunehmendem Maße wie eine Kolonie. Dies wiederum rief besonders kurz nach dem 2. Weltkrieg die Marokkanische Unabhängigkeitsbewegung ISTIQLAL (noch heute eine Partei in Marokko) ins Leben, die auch der rechtmäßige Sultan, Mohamed V unterstützte. Es ist im Grunde genommen den Sultanen zu verdanken, dass Marokko nie Kolonie wurde. Abd El Aziz, der 1900 mit 14 Jahren auf den Thron gelangte und sein Bruder Abd El Hatif, der ihn 1908 entmachtete, mussten den Franzosen und Spaniern zwar schmerzhafte Zugeständnisse machen, da Marokko hoch verschuldet und wirtschaftlich am Ende war – zu einer Kolonialisierung ist es jedoch nie gekommen. Zu Machterhaltung kollaborieren die Franzosen seit langem mit dem Glaoui Pascha, der auch Pascha von Marrakesch wurde. Er „entsorgte“ in seinen Konzentrationslagern im abgelegenen Agdsz Freiheitskämpfer und Personen, die den Franzosen nicht in den Kram passten und so wurde 1953 auch der rechtmäßige Sultan auf Betreiben des Pascha und mithilfe der Franzosen ins Exil geschickt, was die Unabhängigkeitsbewegung Marokkos nur noch mehr stärkte. Politiker wie Charles de Gaulle und Churchill, aber auch Berühmte Persönlichkeiten wie Charly Chaplin, Majorelle etc. pilgerten nach Telouet und machten brav ihren Hofknicks vor dem Pascha, der von hier aus ein grausames Regime über den Süden führte. Wie der Schah von Persien wurde er auf der internationalen Bühne hofiert. Bei den Krönungsfeierlichkeiten von Queen Elisabeth in London schenkte man ihm z.b. einen Rolls Royce. Er besaß den ersten mit Wasserkraft angetriebenen Stromgenerator auf afrikanischem Boden und auch das erste Kino in Afrika soll sich in seiner Kasbah befunden haben – ein echtes Kasbah-Theater – . Durch die Aktivitäten der Marokkanischen Freiheitsbewegung konnte die internationale Gemeinschaft schließlich nicht mehr über die Menschenrechtsverletzungen des Glaoui Diktators hinwegsehen und zwang die Franzosen 1956 den rechtmäßigen Sultan Mohamed V ins Land zurückzuholen und den Pascha fallenzulassen.

Vermutlich war alles von internationaler Hand bereits bestens vorbereitet, denn binnen zwei Wochen waren alle Kasbahs von der weitverzweigten Familie der Glaouis verlassen und ihrer immensen Reichtümer beraubt, die sich dort über die Jahrhunderte angesammelt hatten. Die Glaoui Familie war von einem Tag auf den Anderen untergetaucht und heute leben die Nachkommen zum Teil immer noch unter anderem Namen in San Tropez, Florida oder an anderen Hotspots der High Society. Der rechtmäßige Sultan Mohamed V hielt am 16 November 1956 anlässlich der Rückkehr aus dem Exil eine epochemachende Rede, die begann mit dem Satz: „Die Sklaverei ist abgeschafft, alle Menschen in diesem Land sind gleich und frei, Marokko bekommt eine neue parlamentarische Verfassung….“ Er enteignete die Glaoui Familie und verteilte das Land unter die ehemaligen Leibeigenen. Dem Glaoui Pascha, der damals schon Krebs im Endstadium hatte verzieh er in einer großzügigen Geste. Der Name Glaoui ist jedoch in Marokko immer noch immer mit einem Hautgout belastet und es fließen keinerlei Gelder in die Restaurierung der Kasbah, die es dringend nötig hätte. Tami Glaoui hat sich hier zu Anfang des 20. Jahrhunderts eines der prächtigsten Bauwerke in Marokko errichten lassen. Über 300 der besten Handwerker Marokkos und Andalusiens arbeiteten mehr als 3 Jahre allein an der Innenausstattung, die noch prächtiger und kunstvoller ist als die des Bahia Palastes. So ist diese Kasbah ein absolutes „Muß“ für Marokkointeressierte. Meine Freunde „Mohamed Ramon“ (tel +212 6 97 37 50 08) und Rachid, die selbst Nachfahren der Sklaven des Pascha sind, stehen für eine detailreiche und kurzweilige Führung durch das Schloss zur Verfügung.